Um was es geht. Zunächst einmal um den Abschluss einer Reihe. Mit diesem Buch setzt ω Lotte R. Wöss den Schlusspunkt nach genau sechs Werken um die Söhne und deren Cousins der oberbayerischen Schokoladenmanufaktur Heim-Werlebach. Die Werke 1 bis 5 finden Sie natürlich ebenfalls noch im Internet. Im Schlussband verliebt sich Juliane, Sproß eines Heim-Werlebachs, Modedesignerin aus Berlin, in einen aus der anderen Familie, die sich durch die Werke zieht: die Hechenbergers vom „Seebräu“, einer Brauerei im Ort. Deren Stammhalter Guido, um die dreißig, ist ein reizender Mann, ein Traum von einem Kerl. Aber auch ein Distelprinz, wie es im Titel steht. Guido ist unfähig, sich körperlich berühren zu lassen. Zwar verliebt er sich ebenfalls in Veilchen Juliane – sogar unsterblich –, aber er lässt keine Intimität zu. Das ist die Ausgangslage. Sie sehen schon: eine spannende Idee mit Liebe und Leidenschaft und Alltag und einem fetten Geheimnis.
Die Protagonisten Viele. Dies ist das Finale einer Familiensextologie (gibt es dieses Wort?), die Personen sind meist dieselben in all ihren Entwicklungen. Und da die Heim-Werlebachs Familie schätzen, erweisen sie sich als fortpflanzungsfreudig. Die alte Gräfin (sie spielt hier wieder eine Hauptrolle), das gütigste Oberhaupt der Familie und so etwas wie die Regentin des Clans, begrüßte in sechs Bänden immer wieder neue Enkel.
Und die Ergänzungsspieler. Der Vater des vermeintlichen Bräutigams Guido, erfolgreicher Unternehmer und Lebemann, kommt an seine Grenzen. Schriebe ich hier mehr, müsste ich an den Kern des Buchs gehen. Es geht um ein Familiengeheimnis. Weniger geheimnisvoll dagegen die Gegenspielerinnen von Juliane an ihrer Modeschule in der Hauptstadt. Zicken, Intrigantinnen. Ich vergaß ihren Freund in Berlin, einen Modefotografen der Kategorie Braucht-man-als-Mensch-Nicht.
Die Schreibe. Wöss beherrscht ihr Handwerk, ohne jede Frage. Sie erzählt ihre Geschichten stringent chronologisch. Und die Rückblicke und Erinnerungsstücke sind hier gut eingebaut, immer an den passenden Stellen und aufeinander aufbauend. Vor allem kann man den Gefühlen der Figuren und ihren Motiven sehr gut folgen. Wöss steckt in jedem ihrer Protagonisten. Hey, das erste Buch aus der Reihe hat sie vor fast vier Jahren angefangen.
Ist das realistisch? Ja, die Krankheit, unter der Guido leidet, gibt es tatsächlich.
Die beste Szene ist eine, die ich nicht beschreiben sollte; sie verrät zu viel. Also die zweitbeste, ein Dialog zwischen Juliane und ihrer Großmutter, der alten Gräfin-Witwe: »Eine Frau muss sich immer ein wenig zieren, wenn sie einen Antrag bekommt.« Dabei lächelte die Gräfin-Witwe mit schelmisch verzogenen Mundwinkeln. – »Ach, Oma, das ist eine altmodische Einstellung.« – »Das sind die Vorzüge des Alters. Niemand wundert sich, wenn man schrullig wird. Dass ich mich als Seniorin noch einmal verliebe, das ist ein Geschenk. Weißt du, nach dem Tod deines Opas habe ich mir immer nur eines vom Herrgott gewünscht, dass meine Söhne mit den richtigen Frauen glücklich werden. Nun ist es geschehen, sie haben alle ihre Zeit gebraucht, um dann gut zu wählen. Jetzt fehlst nur noch du. Wenn du auch dein Glück findest, kann ich beruhigt sterben.«
Warum Sie das Buch lesen sollten. Ganz einfach. Wenn Sie ein Fan dieser Reihe von Reingard sind, lesen Sie es sowieso. Wenn Sie einsteigen wollen in die Reihe, was ich sehr empfehle, können Sie mit jedem Buch beginnen. Die Vorgeschichte(n) wird / werden immer kurz erläutert. Dieses ist (so viel sei verraten) wegen seines provokanten Grundthemas ein sehr guter Einstieg.
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