Um was es geht Wird es leichter, wenn sich die beiden schwarzen Schafe aus einer Dramafamilie ausklinken und auf einen eigenen Weg begeben? Wenig  ist von der einst heilen Familienwelt geblieben: Der Vater lebt seine Homosexualität aus, die Mutter verwirklicht sich als Malerin und drei der fünf erwachsenen Kinder ziehen ihr eigenes Ding durch. Hanna und ihr erkrankter Bruder Tobi fallen durch alle Raster. Als die Familie Tobi in eine Einrichtung abgeben will, nimmt ihn Hanna zu sich, ohne die Folgen zu erahnen – Schlag folgt auf Schlag. Manchmal hilft Lachen, um zu verkraften, was einem widerfährt. Manchmal klingt es verzweifelt, manchmal erleichtert. Manchmal lachen wir, weil das Leben ist, wie es ist, und wir dennoch nicht in Mutlosigkeit versinken sollen.

Die Protagonisten Hanna und Tobi, in erster Linie. Hanna ist 25, Schulabbrecherin, Tramperin bis zum Amazonas, Rückkehrerin und Jobberin. Es kommt der Moment, von dem an Hanna ihren Lieblingsbruder unter die Fittiche nimmt. Tobias ist ihr jüngster Bruder, der gerade achtzehn wird und der zwei Jahre zuvor an paranoider Schizophrenie erkrankte. Seine Schübe, die Halluzinationen werden immer unerträglicher, die Familie will ihn abschieben. In erster Linie die Mutter, die mit ihm alleingelassen wird von allen.

Die Machart Man vergisst, dass man einfach ein Buch liest, man ist mittendrin, als wäre man im Wechselspiel eine der Figuren, lacht, weint, erschrickt, grübelt, freut sich und liebt. Die direkte Sprache trägt unbedingt dazu bei, sich absolut vor Ort zu befinden. Schmerzhafte Vorgänge und dennoch so komische Situationen, wie das Leben einem auch real ständig anbietet.

Ist das realistisch?Ja, ja, unbedingt. Das ist vor allem sehr unterhaltsam.

Eine typische Szene. Sie haben das beste Geschirr eingedeckt, die alten Gläser von Tante Gertrud poliert, und ein großer Blumenstrauß steht in der Mitte der Tafel.
»Wo ist die blaue Tischdecke?« Ich bin entsetzt. »Wir haben bei jedem Geburtstag immer die blaue Tischdecke genommen! Und die rosa zu meinen Geburtstagen. Warum muss das jetzt auch noch geändert werden?«
Irene und die Zwillinge sitzen in der Wohnlandschaft im Erker des Zimmers und schauen mich mit großen Augen an. Eine Antwort ist anscheinend zu viel erwartet.
»Prinzessin«, ruft es aus der Küche, »die war nicht mehr schön, überall die Wachsflecken von den ganzen Feiern.«
»Es waren unsere Wachsflecken, unsere Feiern, unsere Geburtstage. Und die gehörten nun mal dazu, zu unserer Familie!« Die Wörter ›unserer‹ und ›Familie‹ betone ich so, als würde Pavarotti sich am hohen C versuchen.
»Manche Dinge verändern sich eben, und du kannst doch nicht sagen, dass Papa und sein, äh, der Orlando es nicht vorzüglich gerichtet haben.« Meine Mutter blickt mich lauernd an, während die Zwillinge die Gelegenheit nutzen, sich zu schleichen. Garantiert rauchen sie sich eine. Warum sagt Irene nicht, was sie wirklich meint?

Gerade will ich ihr das an den Kopf knallen, halte mich im letzten Moment zurück. Ich sage ja auch nicht, was ich meine. Was interessieren mich diese fucking Tischdecken? Nichts! Es geht mir um die Familie, wie sie war, und dass sich alles verändern muss. Besser wird nichts. Vielleicht für Vater und Mutter, die sich unterschiedlich selbst verwirklichen, aber nicht für die Familie, die wir mal waren.
Zu Tobis neuntem Geburtstag gab es das blaue Tischtuch noch. Er saß an der Stirnseite, vor ihm die Torte mit neun Kerzen, und wir hatten alle billige Plastikbecher.
Mutter wusste schon, warum sie das machte. Keine Feier ohne Überschwemmung, da sollte wenigstens kein Glas zu Bruch gehen.
»Happy birthday to you, Marmelade im Schuh …!« Die Zwillinge, wenn es um Schabernack ging, immer einig.
»Selber Marmelade, ihr Blödmänner. An meinem Geburtstag dürfen nur gute Lieder gesungen werden, sonst schmeiß ich euch raus!«
»Ach Tobi, Geburtstagskind, lass dich doch nicht ärgern.«
Mama streichelte ihm über den Arm, um ihn zu beruhigen. Das Gegenteil war der Fall. Tobis Trotzmiene verstärkte sich.
»Jetzt komm schon.« Papa zog ihn an sich und flüsterte ihm ins Ohr. »Meinst du, du könntest deine Mohrenköpfe opfern für eine Schlacht?«
Trotzmodus aus, Begeisterung an.
»Papa, meinst du vielleicht, die Zwillinge damit beschießen?«
»Psst.«
»Stefan! Das kann jetzt nicht dein Ernst sein? Du wirst doch wohl nicht …«, weiter kam sie nicht, weil Papa die Schlacht eröffnet hatte.
Natürlich ließ Mama sich das nicht gefallen und feuerte zwei Mohrenköpfe zurück. Selbst Aaron mit seiner Buchhalterseele ließ es sich nicht nehmen, Basti zu attackieren, und weil keiner der Mohrenköpfe mehr da war, saute er ihn mit Sprühsahne ein. Was war das am Ende für eine Schweinerei! Die Geschenke lagen unberührt auf dem Tisch und wir kreischten vor Vergnügen.
Lange vorbei.

Wer ist die Autorin? ω Elsa Rieger lebt als Autorin und Lektorin und Freundin in Wien.

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