In dieser Woche werde ich mich befassen mit fünf wichtigen Aspekten der Arbeit von Autoren – aus der Sicht des Lektors. Was sind die allerauffälligsten Auffälligkeiten? Wenn Sie dazu Ihre Meinung äußern wollen, rutschen Sie bitte auf die Seite ω Autoren-Knowhow bei Facebook. Am Montag ging es um die „Sofort auffällige Ordnung im Manuskript“, am Dienstag um „Inquits“, am Mittwoch um „Haupt- und Nebensatz“, gestern um den „Übersteigerten Ausdruck“.
Thema heute: Der Einstieg ins Werk
Das Bildchen zeigt einen von mir probelektorierten Romananfang; ich hoffe, Sie können nichts erkennen. Aber wenn der Anfang so aussieht, haben Sie ein Problem und Sie suchen sich einen teureren Lektor. Kleiner Scherz. Zum eigentlichen Ansinnen, bitte!
In der Bibel, im Hohen Lied der Liebe, steht sinngemäß: Alles, was du an Besitz hast, ist nichts – wenn du die Liebe nicht hast. Auf Ihr Gewerbe übertragen: Sie beherzigen auf Herzigste meine leitplankenählichen Mahnungen von Montag bis Donnerstag, schreiben vorbildlichsterweise – aber wenn Sie den Anfang verpfeffern, die ersten … sagen wir mal zwanzig Seiten, ist alles nichts. Ihr Werk verschwindet in der Versenkung.
Warum das so ist? Wegen der Leseproben auf Amazon, eindeutig. Da können Sie meckern und zetern, Amazon ist nun mal für den Verkauf, für Ihren Erfolg das Maß fürs Portemonnaie. Der Leser greift sich porto- und eurofrei Ihre Leseprobe herunter, liest fünfzehn bis zwanzig Seiten im Bus oder beim Abendessen oder in der Wanne – und entscheidet dann, ob er zahlt oder nicht zahlt. Wenn Sie es bis zu diesem Zeitpunkt nicht geschafft haben, ihn bei Laune, bei Spannung, bei Träne, bei Erregung, bei Herzschmerz, bei Grusel, bei Grinse oder Lachen zu haben, dann vergessen Sie es!
Aber auf Seite 76 kommt doch das große …, rufen Sie rein, vor Röte krebsrot. Wann? 76? Zu spät! 42? Zu spät! Seite 3, Seite 10, Seite 15 … spätestens! Das ist so, da beißt die Maus keinen Faden ab, sondern sich ins Mäuseschwänzchen.
Für Sie heißt das, 01: Sie müssen auf dieser Kurzdistanz ein Geheimnis einbauen, besser: zwei. Vielleicht sogar drei. Wie sieht so ein Geheimnis aus? Leserköder. Der Leser muss wissen wollen, wie es weitergeht. Er muss rätseln. Das kann ein Satz sein, der irritiert. Ein Beispiel, ohne zu viel zu sagen: Mich hat mal in einem Krimi der Satz Sein Volvo stand noch immer an der Schweizer Grenze so irritiert, dass ich nicht stoppte, bis ich wusste, was der Volvo dort zu suchen hatte. Ein Negativbeispiel: Wenn Sie in einem Liebesroman rätseln lassen wollen, ob sie ihn kriegt oder nicht, sage ich gäääääähn. Das ist nun mal ein Topos beim Lieben. Noch ein Negativbeispiel: Wenn Sie bei Fantasy eine Reihe von Elfchen tanzen lassen, ist das ebenfalls ein Topos. Doppelgäääähn. Das reicht nicht.
Für Sie heißt das, 02: Das Wetter interessiert niemanden. Die Stimmung der Protagonisten ebenso wenig, wenn Sie die über Seiten ausweiten. Nichts Nebensächliches, bitte, nichts abseits des Weges. Wie die Wohnung von Grete aussieht, frisch entlassen, traurig aber süß, dass die morgens nicht ohne ihre Tasse Wird-schon-alles-gut-Tee auskommt – streichen! Wie die Welten zusammenhängen, in die Sie Ihre Saga ansiedeln – kommt später. Wo ist der Haken Ihrer Geschichte, wo das Geheimnis? Kommen Sie schnell auf einen, vielleicht zwei Konflikte. Deuten Sie sie an. Wie, Sie haben keine Konflikte, kein Drama, keine Probleme in Ihrem Werk? Warum schreiben Sie dann? Aber ich muss doch erklären … Papperlapapp, das machen Sie später. Lassen Sie ruhig Dinge offen – aber den Konflikt, die Konflikte strahlen!
Für Sie heißt das, 03: Basteln Sie so lange an diesen Seiten herum, bis Sie das Gefühl haben, die Leserin ahne das gesamte Werk. Die ersten Seiten in Zeiten von Amazon müssen so etwas sein wie der Nukleus Ihres Werks. Neulich gelesen: Ein Altrocker fährt auf seiner Harley durch Hamburg. Gäääähn! Der Altrocker hat an seine Harley einen Seitenwagen geschraubt? Gibt es so was? Im Seitenwagen friert ein Mann im schwarzen Kostüm. Hoppplaaa! Ein frierender Rocker? Der Mann im Seitenwagen ist Knecht Ruprecht. Ahhhhhh! Der Harley-Lenker trägt ein Weihnachtsmann-Kostüm. Jajajajajajjajajjaaaa!!!!!!!!!! Wir haben Weihnachten – die beiden sind auf dem Weg ins Waisenhaus zur Bescherung. Nun wird’s ein Buch! In diesem Waisenhaus haben sich die beiden als Fünfjährige kennengelernt. Da drücke ich auf Seite 3 den Kaufen-Knopf bei Amazon.
Für Sie heißt das, 04: Überraschen Sie mich! Überraschen Sie Ihre Leser. Lassen Sie Rocker Engelchen spielen! Machen Sie die Leser Nägelkauen oder Lachen oder Heulen – ganz früh, bitte. Schaffen Sie es, dass der Gatte seine Holde anfaucht: Lass mich, ich lese … das ist gerade sooooooooooo … Und zwar schnell!
Denn ohne das … ist alles nichts.
Mehr wollte ich nicht sagEn.denken Sie dran!