In dieser Woche werde ich mich befassen mit fünf wichtigen Aspekten der Arbeit von Autoren – aus der Sicht des Lektors. Was sind die allerauffälligsten Auffälligkeiten? Wenn Sie dazu Ihre Meinung äußern wollen, rutschen Sie bitte auf die Seite ω Autoren-Knowhow bei Facebook. Am Montag ging es um die Sofort auffällige Ordnung im Manuskript, gestern um Inquits. Thema heute: Haupt- und Nebensatz.
Natürlich können Sie das, klar! Logo. Natürlich können Sie Sätze bauen wie Göte oder dieser Thomas Mann. Lang, über fünfzig Wörter, was heißt da fünfzig? Einhundert. Darf’s a bisserl mehr sein?
Was der Leser dazu meint? Ach, der muss halt lesen, dafür ist er ja da. Sie, nur Sie sind … der Kreativling, die Fürstin im Feld. Sie bestimmen. Sie haben was zu sagen. Sie … ja, nur Sie!
Wissen Sie, wer Ihnen mit dieser Haltung die Suppe so versalzt, dass nicht mal mehr Ilsebill sich an die Suppe traut? Die Forschung. Die sagt nämlich – und diese Ergebnisse sind unwidersprochen –, dass des gemeinen Lesers Aufmerksamkeit nach rund fünfundzwanzig, achtundzwanzig Wörtern nachlässt. Schlimmer noch: Der Leser steigt aus. Aus dem Satz, aus dem Absatz. Der Leser, der Schmachmat in seiner Gesamtheit, will einfach nicht. Der Leser sucht sich den Beginn des nächsten Absatzes. So einfach macht es sich der Leser. Und wenn dem Leser so etwas mit Ihrem Oeuvre öfter passiert, legt er es weg und schimpft. Auch öffentlich.
Und bitte, was tun Sie dagegen? Es ist Ihre verdammte Pflicht, jeden Satz zu kneten, bis er stimmt. Bauen Sie sich Warnsignale ein, ja, zählen Sie Wörter. Achtundzwanzig – Schluss. Punkt! Schlusspunkt! Achtundzwanzig, nicht fünfunddreißig, nein, es darf nicht ein wenig mehr sein.
Ein Satz bestehe bitte in der Regel aus Haupt- und maximal zwei Nebensätzen (oder zwei Hauptsätzen). Er ging in die Schule, um Blödsinn zu machen. Klarer Satz, oder? Hauptsatz, Nebensatz, acht Wörter. Er ging in die Schule, um Blödsinn zu machen, was seine schulischen Leistung überhaupt nicht beförderte. Geht noch. Verständlich. Er ging in die Schule, um Blödsinn zu machen, was seine schulischen Leistung, die er seinen Eltern und Geschwistern beim Leben der Großmutter, die unter Qualen vor zwei Jahren, am Weihnachtstag 2014 verstorben war, versprochen hatte, überhaupt nicht beförderte. Achtunddreißig Wörter. Bei welcher Lese-Verständnis-Wiederholung sind Sie ausgestiegen?
Natürlich, einen solchen Satz würden Sie nie schreiben. Aber Sie schreiben Sätze mit mehr als acht-und-zwanzig Wörtern. So einen zum Beispiel …
Der ist ja noch irgendwie … na ja, nachvollziehbar, wenn sich der Leser bemüht. Aber beim zweiten Satz dieser Gewichtsklasse murrt der Leser, garantiert. Und wissen Sie, wie man einen solchen Satz am besten knetet? Machen Sie zwei Sätze draus – oder drei. Machen Sie es dem Leser verdammt noch mal leicht! Der nämlich schenkt Ihnen das Wertvollste, das er hat: seine Zeit, seine Aufmerksamkeit – und 10,95 Euro oder 2,99 Euro aus der Portokasse.
Eine meiner steilen Thesen: Wer auf dreihundert Normseiten mehr als dreißig Sätze mit mehr als 28! Wörtern listet, hat vor dem Leser keinen Respekt. Er geht mit seiner einzigen Ressource Leser schlampig um.
Schauen Sie sich noch mal den Satz im obersten Bildchen an. Dort, in dieser einfachen Konstruktion aus Wörtlicher Rede – Inquit – Nebensatz, schludert der Autor ebenfalls. Er packt eine Hauptsache – ein Mensch kippt vom Stuhl – in einen Nebensatz. Er missachtet die Grundregel, die da lautet: Hauptsachen in Hauptsätzen! Sie sagen, das Seitlich-vom-Stuhl-Kippen kann auch eine Nebensache sein? Na, hören Sie mal! Wann ist in Ihrer Gegenwart zuletzt jemand seitlich vom Stuhl gekippt? Gut, Sie sind Kneipenwirtin, das zählt nicht. Aber so im Alltag? Diese Beobachtung, diese Tatsache, dieses Kippen, dieses Ereignis gehört in einen neuen Hauptsatz.
Nur so schaffen Sie Aufmerksamkeit. So halten Sie den Leser. Und wer jetzt einwendet, ich plädierte für ein Werk aus Sätzen mit maximal zehn Wörtern … Pustekuchen! Wechseln Sie die Länge der Sätze ab. Aber kneten Sie die Sätze oft! Sonst knetet Sie der Leser.
Und nein, Sie! Ich habe nicht gesagt, dass lange Sätze verboten, politisch inkorrekt, rassistisch oder kreativtätsabschneidend sind. Ich sage nur: Hüten Sie sich davor, gehen Sie die Ungetüme vorsichtig an. Über allem steht mein Motto, das leider nicht von mir ist, aber der Leitgedanke für jeden sein sollte, der sich mit seinem Geschriebenen an die Öffentlichkeit wendet – und das Motto geht so: (längster Satz dieses Beitrags, 32!)
Thema morgen: der kolossartige Komplex Übersteigerter Ausdruck.